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"Dichten als Bibelexegese"
Jochen Kleppers schriftstellerisches Selbstverständnis
"Schreiben will ich nach den Gesetzen meiner Intuition", notierte Jochen Klepper in sein Tagebuch und meinte an anderer Stelle: "Alles Dichten ist nur ein Erkennen." Ästhetische, poetologische Fragen spielten bei ihm durchaus eine Rolle, doch wurden sie gedämpft oder eingeschränkt durch die vordringliche Bekenntnisfrage, die ihm als Dichter der Kirche gestellt war. Denn Klepper war nicht nur ein leidenschaftlicher Erzähler - er war auch ein leidenschaftlicher Christ, der sowohl an seine Aufgabe als Schriftsteller wie auch an die als Christ glaubte. Dabei stand das Dichterwort für ihn im Dienst des biblischen Gotteswortes und verlangte von ihm in seinem Selbstverständnis als Dichter der Kirche "Subordination", das bedeutete für Klepper: Herrschaft des Wortes Gottes über das Wort des Dichters. Ausdrücklich in diesem Sinne als "Knecht Gottes" wollte der Schriftsteller in seinen Büchern "die Führung eines Menschen durch Gott gestalten". Begriffe wie christliche Dichtung oder christlicher Epiker fand er daher nicht verächtlich, wie das heute oft der Fall ist - im Gegenteil. Als Schriftsteller wollte Klepper keineswegs Christ inkognito sein.
So gründet seine Dichtung eindeutig auf seiner Religiosität, nicht nur die geistlichen Lieder "Kyrie", auch sein Hauptwerk, der historische Roman "Der Vater". Erscheint doch dem König Friedrich Wilhelm I. sein Amt als schwerer göttlicher Auftrag. Was Klepper an dem Stoff indessen ganz besonders gereizt hat, war nach eigenem Bekunden, dass er ohne weiteres "die Worte der Bibel unverändert in diese Königsgeschichte einbauen" konnte. Für ihn haben Predigt und Dichtung nur einen Gegenstand: das "Wort Gottes". Er fühlt sich daher durchaus verstanden, wenn sein Buch "Der Vater" als "ein Buch der Kanzel" gedeutet wurde.
"Die religiöse Existenz steht über der künstlerischen", so lautete Kleppers Credo. Entstehung und Entwicklung sowohl des Königsromans als auch des Fragment gebliebenen Lutherromans "Die Flucht der Katharina von Bora" durchliefen, wie Klepper einmal schrieb, sowohl einen künstlerischen als auch einen religiösen Prozess.
Überdies hat Jochen Klepper der schwierigen Symbiose von Christ und Künstler viel Nachdenken gewidmet. Wie kaum ein anderer, meint Kurt Ihlenfeld, habe Klepper die Probleme der christlichen Dichtung durchdacht und mit ihnen im eigenen Schaffen gerungen.
Schon 1932 kündigte Klepper zum ersten Mal die Absicht an, Dichtung als Bibelexegese zu treiben und Bibelverkündigung als Auftrag seiner Dichtung zu sehen.
"Die religiöse Existenz steht über der künstlerischen", schrieb er am 24.1.1940 an Reinhold Schneider. In seiner Abhandlung "Die Besonderheit des christlichen Romans" hatte er mit Entschlossenheit darauf bestanden, dass die Darstellung eines Lebens unter Gott nur demjenigen möglich sei, der die Glaubenserfahrung besitze, was Gott an der Menschenseele getan habe. Zugleich aber vertrat er die Ansicht, dass dem Christen als Künstler unbenommen sei, sich auszuwirken im freien Spiel der Fantasie: "Keine Pflicht wird dem Christen als Dichter auferlegt, jedes Spiel ihm freigegeben. Keine Seligkeit lockt als die der freien künstlerischen Entfaltung, die mit der Seligkeit des Christen nichts gemein hat und nicht einmal nach ihr zu fragen braucht. Kein Stoff, kein Mittel der Gestaltung, keine Art der Darstellung bleibt dem Christen als Epiker verwehrt, nichts Irdisches und Menschliches ist für ihn ausgeschlossen." Gleichwohl gibt er im Laufe seiner Ausführungen zu bedenken: "Der Glaube kann sich nicht begnügen mit dem Traumcharakter der Dichtung. Um Gottes große Taten geht es dem christlichen Roman... Tatsächliches Leben wirklicher Menschen unter der ewigen Wahrheit in Worten der Dichtung nachzugestalten: was ist's anderes als Kunde zu geben von der Führung menschlichen Geistes durch Gott?"
Klepper geht es "um Deutung, um Übersetzung der Offenbarung in das Leben mit Hilfe der geistigen Funktion des Schriftstellers." Daher gehörten für ihn persönlich im Bereich der Kunst drei Faktoren zusammen: der christliche Künstler, der christliche Stoff und der christliche Gehalt. Die schriftstellerische Arbeit soll der Bibel verpflichtet sein und sich ihr verantwortlich fühlen, ja zu ihr hinführen, Glauben wecken oder stärken. Vor allem aber musste für Klepper Dichtung vor Gott bestehen können. Mehr noch, der Schriftsteller fasste sein Schaffen als Antwort auf Gottes Anrede auf und machte die Bibel als Gottes Wort zum Urbild und zum "fast unerträglichen strengen Maßstab" seines Schaffens. So wurde für Klepper Dichtung geradewegs zur Verkündigung.
"Nur wenn ich Jesaja oder Luther lese", vertraute Klepper seinem Tagebuch an, "kommt eine Beruhigung in meinen Geist. Niemals kommt sie von der Dichtung her." Diese Bemerkung weckt die Frage: Was hat Klepper überhaupt gelesen?
Seinem Diarium kann man entnehmen, dass er "Das Tagebuch eines Landpfarrers" kannte - "mir ist's wie der letzte mögliche Zugang zu Reinhold Schneider. Es ist aber auch eine tiefe Verwandtschaft zwischen Bernanos und mir in dem ständigen Bewusstsein für die unablässig spürbare Gegenschöpfung des Satanischen", schreibt Klepper und vermerkt bei anderer Gelegenheit: "Der französische katholische Romancier George Bernanos führte in seinem Roman "Die Sonne Satans" als erster nach Dostojewski wieder den Satan in Person in die Dichtung ein." Ferner berichtet er: "Nach Raabe wird nun auch Eichendorff zum Vergleich mit mir herangezogen; ich weiß aber zu beiden keine Beziehungen, weil ich sie schlecht kenne." In seiner Jugend, in der Zeit um 1923 und 1924, soll Kleppers Lieblingsbuch Gustav Flauberts "Madame Bovary" gewesen sein.
Doch im großen und ganzen war der Schriftsteller viel zu sehr von seiner eigenen Arbeit beherrscht, um große Aufgeschlossenheit für fremde Literaturerzeugnisse zu entwickeln. Anspielungen auf ausländische und deutsche, klassische und moderne Dichtungen kommen in seinen sonst so ausführlichen Tagebuchnotizen auffällig selten vor. Gleichwohl muss er in seinen schriftstellerischen Anfangsjahren von der wichtigsten zeitgenössischen Literatur Notiz genommen haben. Die Sicherheit, mit der er Namen wie Gottfried Benn, Hanns Johst, Kurt Kluge, Leonhard Frank und Gertrud Bäumer gebraucht, lässt darauf schließen.
Doch zurück zu Klepper als Dichter und Schriftsteller. Nicht jede seiner Dichtungen, nicht jedes seiner Werke ist aus der christlichen Idee heraus konzipiert, man denke nur den Roman "Der Kahn der fröhlichen Leute", an die Novelle "Das Ende" und an einige seiner Gedichte. Dagegen sollte der Luther-Roman, mehr noch als der Königsroman, von einem Leben im Dienst der Bibel handeln.
Kleppers Aufsatz über "Die Besonderheit des christlichen Romans" rief zu seiner Zeit eine regelrechte Kritikflut hervor. Man warf ihm vor, dass er die Belange der Kunst zu wenig beachtet habe. Obwohl sich Klepper damals keineswegs in der Lage fühlte, die literarische Auseinandersetzungen, nicht einmal im Gespräch mit Freunden, offen auszutragen, gestand er später: "Wir (er meinte Reinhold Schneider und sich) haben von der Kunst etwas preisgegeben, was der Glaube gar nicht von uns fordert."
Beide, Glauben und Kunst, haben je ihren eigenen Absolutheitsanspruch. Gleichwohl gefährdet bei Klepper letzten Endes nicht die Kunst die Existenz des Glaubens, sondern der Glaube die Existenz der Kunst, da bei ihm der Glaube stärker war als die Kunst. Ohne Kunst hätte Klepper noch zu existieren vermocht, aber nicht ohne den Glauben. Die existentielle Bedeutung der "Literatur aus dem Glauben" wird für Klepper verstärkt durch die allgemeinen Verhältnisse in der Hitler-Diktatur und die zunehmende Gefährdung seiner Familie. Immerhin war Klepper mit einer jüdischen Frau und zwei jüdischen Stieftöchtern den besonderen Schikanen der Nazis ausgesetzt gewesen, die ihn schließlich zusammen mit seiner Frau und seiner jüngsten Tochter in den Selbstmord trieben,
"Wie nahe doch das Amt des christlichen Dichters dem des Predigers steht" verzeichnet er am 5.10.38 in sein Tagebuch und wird nicht müde zu betonen, dass Predigt und Dichtung für ihn als Schriftsteller und Theologen nur einen Gegenstand haben, nämlich die Verkündigung der "Frohen Botschaft" oder, wie es in Kolosser 1,25 heißt, " Gottes Wort in seiner Fülle kund zu machen." Gottes Anrede trifft den Künstler wie ein Schlag, unter dessen Druck er zu reagieren, zu antworten, zu gestalten er sich genötigt sieht. "Alles Schreiben ist Antwort auf Gottes dringlichste Anrede." Kein Wunder, dass Klepper seine schriftstellerische Tätigkeit als Gottesdienst versteht.
Klepper forderte aber auch, dass im Roman die Gottferne und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen Gestalt gewinnen müsse. Die Welt ohne Gott, die Welt unter Gott, das Dasein der Christen wie das Dasein der "Heiden", Weltreich und Gottesreich - das seien die Sujets der christlichen epischen Dichtung, meinte der Schriftsteller. Um so mehr muss man bedauern, dass es Klepper nicht vergönnt war, seine Intention, einen Roman über Voltaire, den großen Atheisten, zu schreiben, zu verwirklichen. Statt die Geschichte eines Apostaten, Atheisten, Christenfeindes oder Agnostikers aufzugreifen, wendet sich Klepper in der Spanne seines kurzen Daseins dem Leben von Glaubensgenossen zu und sucht in der Glaubenserfahrung seiner Hauptgestalten die Bestätigung seiner eigenen Glaubenserlebnisse. War er doch fest davon überzeugt, dass die Darstellung eines Lebens unter Gott im christlichen Roman nur dem möglich sei, der die Glaubenserfahrung besitzt, "was Gott an der Menschenseele getan hat."
Doch so viel ist sicher. Klepper schreibt keine bloße Erbauungsliteratur, gerät nicht ins religiöse Schwärmen, - an frommen Stimmungen ist ihm nicht gelegen - noch wird er religiös aufdringlich wie andere sogenannte christliche Dichter, die ihr Christentum und ihr Glaubensbekenntnis wie eine Fanfare vor sich hertragen, vielmehr nötigt er Respekt ab und weckt beim Leser Nachdenklichkeit.
Im Jahr 1936, als abzusehen war, wohin die Herrschaft des Nationalsozialismus tendierte, behauptete Jochen Klepper sogar, dass es nun die Aufgabe des deutschen Dichters vor seiner Nation sei, "Buße zu predigen."
- Ähnlich wie Jochen Klepper verstand sich übrigens auch Reinhold Schneider "als manchmal widerwilliges, aber letztlich gehorsames Instrument Gottes. Er ließ sich führen", bemerkt Josef Rast in seinem Nachwort zu Schneiders "Verhüllter Tag". -
Klepper neigte mithin weder zum erbaulichen Predigen noch vermittelte er einfache Botschaften. Vielmehr besaß er wie kaum ein anderer, die Gabe, mit dem Sprachgut und dem Wortschatz der Bibel zu dichten. Unverkennbar sind zudem seinen Kirchenliedern Schmerz-, Not- und Gebetserfahrung eingeschrieben.
"Alle Grenzen meiner Tage / biege, Gott, in Deinen Kreis, /
dass ich nur noch Worte sage, /
die ich von dir kommen weiß."
In den letzten Jahren allerdings verstummte der Schriftsteller und Dichter. In anderen Zeiten und unter anderen Verhältnissen wäre christliche Dichtung trotz ihrer Problematik wohl auch einem Schriftsteller wie Jochen Klepper weiterhin möglich gewesen.
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